Am 1. Juni 2023 ist das einheitliche Patentsystem für europäische Patente in Kraft getreten

1. Zusammenfassung

Für ab diesem Datum erteilte europäische Patente kann die einheitliche Wirkung beantragt werden, mit der Folge, dass ein einheitlicher Patentschutz in derzeit 17 teilnehmenden Staaten der EU eintritt („europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung“, kurz „Einheitspatent“).
Zugleich hat das Einheitliche Patentgericht („Unified Patent Court“, kurz: „UPC“) seine Arbeit aufgenommen. Für Einheitspatente ist das Einheitliche Patentgericht ausschließlich zuständig. Für in den 17 teilnehmenden EU-Staaten in Kraft stehende europäische Patente ohne einheitliche Wirkung besteht eine konkurrierende Zuständigkeit, d.h. das Einheitliche Patentgericht ist neben den nationalen Gerichten zuständig.
Inhaber europäischer Patente können mit einer sog. Opt-out Erklärung ihre Schutzrechte der Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts für eine gewisse Dauer entziehen.

2. Rechtslage bisher

Bislang waren europäische Patente innerhalb einer Frist in einzelnen Vertragsstaaten zu validieren, wobei zum Teil Übersetzungen der Ansprüche oder der gesamten Patentschrift sowie die Bestellung eines Inlandsvertreters erforderlich waren. In allen Vertragsstaaten wurden ferner jährlich Aufrechterhaltungsgebühren fällig. Für Fragen des Rechtsbestands und der Verletzung der erteilten Patente galt das jeweilige nationale Recht.
Ausgangspunkte der Schaffung des einheitlichen Patentsystems war der Wunsch, die Kosten der Validierung, Verlängerung, Verteidigung und Durchsetzung von europäischen Patenten zu reduzieren, und insbesondere die Rechtsprechung zur Verletzung von europäischen Patenten zu vereinheitlichen.

3. Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung (Einheitspatent)

Das neue europäische Patent mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“) kann zukünftig auf der Grundlage eines erteilten europäischen Patents innerhalb eines Monats nach Erteilung beantragt werden. Das Einheitspatent zeichnet sich gegenüber dem bekannten europäischen Patent im Wesentlichen dadurch aus, dass dieses einen einheitlichen Schutz für die zunächst 17 teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Portugal, Slowenien, Schweden) entfaltet.
Die übrigen im europäischen Patent benannten Vertragsstaaten können neben dem Einheitspatent weiterhin national validiert werden. Eine zusätzliche nationale Validierung in einem der teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten ist bei beantragter einheitlicher Wirkung hingegen nicht möglich.
Nationale Patente und Gebrauchsmuster in Deutschland werden durch erteilte Einheitspatente nicht unwirksam. Für die anderen teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten gilt das dortige nationale Recht.
Für das Einheitspatent wird nur eine gemeinsame Aufrechterhaltungsgebühr fällig, welche an das Europäische Patentamt (EPA) zu entrichten ist. Einzelnen Staaten innerhalb des Einheitspatents können aber nicht mehr fallengelassen werden. Daher empfiehlt sich der Antrag auf einheitliche Wirkung dann, wenn ein Schutz in vier oder mehr Vertragstaaten für längere Zeit angestrebt wird.

4. Einheitliches Patentgericht (UPC)

Mit dem Start des neuen europäischen Patentsystems wird das neu geschaffene Einheitliche Patentgericht ausschließlich für alle Streitsachen in Bezug auf Einheitspatente zuständig.
Für in den 17 teilnehmenden EU-Staaten in Kraft stehende europäische Patente ohne einheitliche Wirkung („Bündelpatente“) besteht eine konkurrierende Zuständigkeit, d.h. das UPC ist neben den nationalen Gerichten zuständig. Während einer Übergangsphase von 7 bis maximal 14 Jahren werden jedoch die bisherigen nationalen Gerichte in den teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten ebenso zuständig sein für Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen bezüglich europäischer Patente, für die kein Antrag auf einheitliche Wirkung gestellt wurde. Entsprechend besteht für den Patentinhaber die Möglichkeit, eine Verletzungsklage wahlweise vor einem nationalen Gericht oder vor dem UPC einzureichen. Umgekehrt ist es jedem Dritten ebenso möglich, eine Nichtigkeitsklage mit Wirkung in allen teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten, für die das europäische Patent validiert wurde und in Kraft steht, vor einem nationalen Gericht oder vor dem UPC einzureichen.
Das UPC wird in einem einheitlichen Verfahren für alle beteiligten EU-Mitgliedstaaten die Verletzung und den Rechtsbestand von europäischen Einheitspatenten und Bündelpatenten beurteilen.
Das UPC verfügt als Eingangsinstanz über eine Zentralkammer (derzeit Paris und München) sowie supranationale Regionalkammern (Zuständigkeit für mehrere Staaten) und Lokalkammern (in Deutschland: Düsseldorf, München, Mannheim, Hamburg). Eine Berufungskammer ist in Luxemburg angesiedelt. Für reine Nichtigkeitsverfahren sind die Zentralkammern zuständig. Die Richter sind erfahrene Juristen und technisch vorgebildete Spezialisten aus den teilnehmenden Vertragsstaaten.
Die zukünftige Rechtsprechungspraxis des UPC ist derzeit schwer abzusehen und die Kosten eines Verfahrens vor dem UPC werden voraussichtlich im Vergleich zu einem nationalen Verfahren, wie beispielsweise in Deutschland, relevant höher sein.
Neben Rechtsanwälten sind auch europäische Patentanwälte mit entsprechender Zusatzqualifikation vor dem UPC vertretungsberechtigt. Letztere werden in der Regel als „European Patent Litigator“ bezeichnet.

5. Opt-Out

Um insbesondere das Risiko einer zentralen Nichtigkeitsklage mit Wirkung für mehrere EU-Mitgliedstaaten zu vermeiden, ist es für Inhaber oder Anmelder eines europäischen Patents möglich, eine sogenannte Opt-Out-Erklärung für das europäische Patent bzw. die europäische Patentanmeldung abzugeben. Die Opt-Out-Erklärung schließt die parallele Zuständigkeit des UPC mit Wirkung bis zum Ende der Laufzeit des europäischen Patentes aus, sofern zuvor noch keine Klage vor dem UPC gegen das betreffende europäische Patent erhoben worden ist.
Um zu verhindern, dass ein gewünschtes Opt-Out durch die Erhebung einer Nichtigkeitsklage vor dem UPC blockiert wird, empfiehlt sich eine frühzeitige Opt-Out Erklärung. Hierbei ist zu beachten, dass die Opt-Out Erklärung erst mit dem Eintrag in das Register Wirkung entfaltet.
Einmalig besteht nach erklärtem Opt-out die Möglichkeit, hiervon wieder zurückzutreten (sogenanntes „Opt-in“), sofern noch keine Klage vor einem nationalen Gericht erhoben worden ist.

6. Tipp für die Praxis

Das einheitliche Patentsystem wird Europa – und damit auch den Patentstandort Deutschland – verändern. Zwar wird die Rechtsprechung zu Patentverletzungen und Rechtsbestand des Patents nicht komplett auf den Kopf gestellt. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die gefestigte Rechtsprechung der deutschen Gerichte 1:1 übernommen wird.
Da die Spruchkörper des UPC sowohl für die Frage der Verletzung von Patenten als auch für deren Rechtsbeständigkeit zuständig sind, dürften die Verfahren komplexer werden.
Ferner dürften die Verfahren und die Entscheidungen auch der in Deutschland ansässigen Spruchkörper in relevanter Anzahl in englischer Sprache erfolgen.
Um die Risiken des neuen UPC zu minimieren, sollte das Patent-Portfolio strategisch daraufhin analysiert werden, welche Schutzrechte dem UPC zunächst entzogen werden sollen.
Sie haben Fragen? Gerne beraten und vertreten wir Sie in allen Fragen rund um Einheitspatent und Einheitliches Patentgericht.